Sie ist da! Inna aus der Ukraine ist jetzt seit Mitte März bei uns. Am 17. 03. holten wir sie vom Troisdorfer Rathaus ab. Nach einigen wichtigen deutsch-bürokratischen Formularen und Ausweispapieren durfte sie mit in unsere kleine Wohnung kommen. Seitdem lebt sie hier im kleinen Gästezimmer.
Ich habe Inna gefragt, ob es für sie in Ordnung ist, wenn ich euch etwas von ihr und dem Zusammensein mit uns berichte. Dieser Blog ist damit allen Flüchtlingen auf der ganzen Welt gewidmet, die ihr geliebtes Land aufgrund von Krieg wegen einem Idioten oder mehreren verlassen mussten. Bitte rettet die Welt; please save the world!
Будь ласка, врятуйте світ
Inna spricht zum Glück perfekt englisch, besser als wir beide, so war und ist die Verständigung kein Problem. Unser Gästezimmer ist wirklich sehr klein, dennoch bedankt Inna sich oft dafür und ist froh darüber. Selbstverständlich kann sie Küche, Bad und Wohnzimmer, wie auch unsere Waschmaschine und den Balkon mitbenutzen. – Schon nach wenigen Tagen überraschte uns Inna mit einer typisch ukrainischen Bortsch-Suppe und tags darauf mit Blinis, vielen pancake-ähnlichen kleinen leckeren Pfannekuchen.
Wenn es uns möglich ist, tauschen wir uns aus, essen gemeinsam und versuchen gegenseitig unsere Sprache zu erlernen. Mir fällt es allerdings sehr schwer ukrainisch zu lernen, denn die Schrift ist eine ganz andere als die unsere. So unterhalten wir uns überwiegend in englisch. Aber Inna ist eisern und fragt fast täglich, was welches Wort bedeutet und sie übt fleißig die für sie so schwierige Sprache.
Nach unserer beider Arbeitszeiten, die oftmals sehr unterschiedlich sind, versuchen Micha und ich uns je nach Zeit und Möglichkeit Inna zu widmen, berichten gegenseitig von unseren Tages-Erlebnissen und versuchen ihre Fragen zu beantworten. Es ist schön, dass in Deutschland die Möglichkeit besteht, Menschen aus verschiedenen kriegsgefährdeten Ländern aufzunehmen, aber die Bürokratie macht es einem nicht immer leicht, alle Behördengänge zu verstehen und unterstützt wird man auch nicht wirklich. Vor allem gibt’s stets bei all dem ganz schön viel Papierkram, den zumeist Micha erledigt. Telefonate führen und Mails beantworten wir beide abwechselnd und stoßen hierbei oft auf “taube” Ohren oder bekommen unmissverständliche Aussagen. Wir bleiben am Ball, auch wenn wir manchmal genervt sind von diesen bürokratischen Hürden. –
An einem Samstag zeigte ich Inna die große Auswahl an second-hand Kleidung in der “Nachbarschaftshilfe”. Hier hatten wir doppeltes Glück, denn eine russisch sprechende Angestellte konnte Inna bei vielen Fragen Auskunft geben und ihr bei der Auswahl helfen. Schließlich kaufte sie ein paar wenige Kleidungsstücke, denn aus der Ukraine hatte sie nur ganz wenig mitnehmen können. (Mittlerweile ist sie auch alleine noch mal nach Sankt Augustin zu diesem gemeinnützigen Laden gefahren und ich denke, ihr geht es da wie mir, man findet irgendwie immer etwas. 🙂 )
An zwei unterschiedlichen Sonntagen besuchte ich mit Inna jeweils einen großen Flohmarkt, für sie ein abwechslungsreiches Highlight. Leider waren beim ersten in Sankt Augustin eher weniger “echte” Flohmarkt Verkäufer, stattdessen viele gewerbliche “Billigverkäufer”. Dennoch erstand Inna einen angebotenen Rucksack extra für sie um einiges preisgünstiger. Es gibt immer wieder einige nette und freundliche Menschen, so wie den türkischen Flohmarkt Verkäufer, der meinte, sein Herz schlage für die Ukraine und formte daraufhin mit den Händen ein Herz. Zu mir sagte er dann: “Ey, übersetz das mal bitte.” Beim nächsten Flohmarkt in Troisdorf war zum Einen das Wetter schon etwas wärmer und diesmal gab es auch viel mehr “richtige” Flohmarkt-Verkäufer, mit denen wir handeln konnten, einen kurzen Schwatz halten und ein paar nette Kleinigkeiten ergatterten.
Eine Kollegin von mir hat russische und deutsche Vorfahren und spricht perfekt beide Sprachen. Sie hat Inna gleich zu Beginn ein paar nette willkommene Sprüche gesandt und ebenso eine CD mit russischen und ukrainischen Liedern. Inna freute sich sehr über diese liebevollen Gesten.
Man muss wissen: die ukrainische Sprache ist nicht dieselbe wie die russische. Man kann es ungefähr vergleichen mit der deutschen und holländischen Sprache. Teilweise verstehen wir einige Wörter auf niederländisch oder auch flämisch und können uns etwas zusammenreimen, aber beides ist eine eigenständige Sprache. Inna jedoch hat in Ihrer Schulzeit russisch gelernt, das ist von Vorteil und daher versteht und spricht sie Vieles in dieser Sprache.
Inna’s fast 34 jähriger Sohn muss in der Ukraine bleiben, um dort für sein Land zu kämpfen, ebenso ihr 18 jähriger Enkel. Wegen diesem ist auch ihre 38 jährige Tochter dort geblieben und hat Inna’s über 80 jährige Mutter nun zu sich genommen. Sämtliche Häuser in Inna’s Stadt sind zerstört, ausgebrannt, zerbombt oder zertrümmert und sie berichtet, dass manche Nachbarn in ihre Keller geflohen seien. Wenn sie wieder nach oben kommen, müssen sie feststellen, dass da nichts mehr ist, kein Haus, alles weg. Inna zeigt uns Bilder, Fotos von vorher und von jetzt. Oft kommen ihr dabei Tränen. Inna kommt aus der Stadt Charkiw. Diese Millionenstadt (zweitgrößte nach Kiew) liegt ganz nah an der russischen Grenze und ist daher im Dauerbeschuss.
Inna malt viel, das hilft zur Verarbeitung oder Ablenkung, sagt sie. Auch wir sind sehr traurig und fühlen mit ihr, besonders wenn wir die verheerenden Bilder im Internet und in den Nachrichten sehen und von ihren direkten Berichten von ihren Daheimgebliebenen hören. Wir haben ähnliche Bilder im Kopf von anderen Ländern, in denen seit Jahrzehnten Krieg wegen Machtkampf herrscht. Doch hier können wir nur versuchen, Inna das Leben und ihren Aufenthalt soweit es geht, ein wenig nett zu gestelten und sie etwas abzulenken; auch wenn wir wissen, dass das nur oberflächlich geschieht.
Ebenfalls in Troisdorf lebt seit Kriegsausbruch Inna’s Schwiegertochter Alona mit ihrem 6 jährigen Sohn Wladik. Sie sind bei einer anderen deutschen Familie aufgenommen worden. Inna’s Sohn bat seine Frau mit dem Kind ins sichere Deutschland zu fliehen und etwas später empfahl er seiner Mutter den beiden zu folgen, damit sie sich gegenseitig unterstützen und trösten können. Inna liebt den kleinen Enkel sehr, hat sie doch schon den anderen Enkel nicht bei sich. Die drei treffen sich oft. Troisdorf ist ein Ort, den man auch zu Fuß erwandern kann, wenn man will oder muss. Inna nutzt hierbei das deutsche Frühlingswetter. In der Ukraine liegt noch viel Schnee. Sie erfreut sich trotz allem an den blühenden Bäumen und Blumen und sagt, das hilft ihr ein wenig darüber hinweg zu kommen, den ukrainischen Frühling nicht erleben zu können. Auch im Regen ist Inna unterwegs, z.B. wenn sie ihren Enkel zum Fußball-Training begleitet. Manchmal fährt Inna auch mit dem Bus. Sie lernt sehr schnell, merkt sich die Wege und Straßen, Buslinien und findet sich schon nach kurzer Zeit zurecht.
An einem Wochenende lädt uns meine Schwester nach Bonn zu sich zum Nachmittags-Kaffee ein. Da wir alle etwas englisch können, klappt die Verständigung und Unterhaltung gut. Und mit den leckeren Waffeln samt Eis und Kirschen hat sich der Besuch allemale gelohnt. Danke dafür! – Ein abschließender Spaziergang im wunderbar frühlingshaften Sonnenschein an der Sieg und gegen Abend noch am Rhein lässt Inna’s Herz für ein paar Momente höher schlagen.
An einem Wochenendtag kommt Silja mit ihren Söhnen, unseren Enkeln zu uns nach Troisdorf. Wir treffen uns alle an der “Burg Wissem”. Auch Alona mit Wladik kommen und die drei Jungs haben viel Freude beim Fußball spielen und auf dem Spielplatz. Da ist die Sprache überhaupt kein Hindernis. Ich habe ein reichhaltiges Picknick mitgebracht und wir lassen es uns gut gehen im Sonnenschein. Gegen späten Nachmittag verabschieden wir uns nach einem wunderschönen sonnigen Tag und dem leckeren Finale in der Eisdiele.
Wenn Inna auch froh ist, über die kleine Unterkunft bei uns, so können wir sie verstehen, dass ihr Wunsch nach einer unabhängigen kleinen Wohnung mit der Zeit größer wird. Wir machen uns also auf die Suche: Immonet, Immobilien-Scout, Ebay-Kleinanzeigen usw. helfen da bei der Suche, wie ebenso das Fragen an unsere vielen Bekannten und Freunde. Die Möglichkeit jedoch ist sehr eingeschränkt: Die Wohnung darf nicht größer als 45 m² sein (für Inna kein Problem) und sie muss im Troisdorfer Kreis sein, nicht in anderen Orten, da Inna hier gemeldet ist (für Inna auch kein Prblem, für die Suche hier allerdings schon), hinzu kommen die finanziellen Wohnungsmieter- Bestimmungen, die das Ganze nicht gerade einfacher machen. Viel ist da nicht zu erwarten, dennoch habe ich schon einige Besitzer kontaktiert und eine Ein-Zimmer Souterrain Wohnung konnten wir bereits besichtigen. Die wurde dann aber auch leider einen Tag danach anderweitig vergeben. Jetzt heißt es wieder Geduld haben und weiter suchen. Wir haben weitere in Aussicht, vielleicht klappt’s diesmal.
Inna hat sich bereits mit unserer (Such-)Hilfe in einem Online-Kurs zur Deutsch-Sprachschule in Troisdorf angemeldet und wartet nun sehnsüchtig auf den Beginn. Ihr Enkel Wladik durfte ab letzter Woche in die erste Klasse zur Schule gehen. Nun müssen sie alle die deutsche Sprache erlernen. Wir selbst wissen, wie schwierig das ist – der, die, das, wieso, weshalb, warum…
Damit die Wohnungssuche irgendwann einen besseren Erfolg hat, möchte Inna sich gerne auch einen kleinen Job suchen. Durch ein Gespräch mit einer russisch sprechenden Dame in der Warteschlange beim Rathaus erfuhr Inna von einem Vollzeitjob, den sie ab sofort ausführen kann. Ich bin mit ihr mit dem Auto den Weg dorthin abgefahren, damit Inna weiß, welche Buslinie sie nehmen kann. So wird dieser Wunsch vielleicht schon sehr bald für sie in Erfüllung gehen und die finanzielle Hürde bei der Wohnungssuche hierdurch etwas erleichtert. In der Ukraine ist Inna bereits als Rentnerin gemeldet. Sie ist einen Monat jünger als ich und wir haben noch weitere Gemeinsamkeiten entdeckt, worüber wir uns manches Mal freuen und lachen können. Es ist wunderbar mit erleben zu dürfen, wie Menschen trotz all ihrer Traurigkeit, Kummer und Sorgen ihren Humor und ihre Freude behalten und stets immer wieder etwas Gutes herausfiltern; das auch obwohl es hier zwischendurch als verspäteten Aprilscherz noch mal geschneit hat. Sie fährt gerne mit mir im Auto einfach durch die Gegend und liebt es in unseren Geschäften zu bummeln, zu schauen und z.T. auch zu kaufen. Besonders ihr Enkel profitiert davon.
An Wochenende vor Ostern relaxen wir einfach nur und nehmen uns nichts besonderes vor. Die letzten Wochen in unserer Arbeit waren sehr intensiv, hektisch und bei Micha überwiegend von Coronafällen im Team knapp besetzt. Bei mir fehlt dauerhaft Personal und wir wenigen Mitarbeiter geben, was wir können, sind aber total ausgepowert. Micha kann dann seine heftige Grippe fertig auskurieren; die hatte er kurz nach seiner alljährlichen Routineuntersuchung für seine Achalasie plötzlich bekommen und lag erschöpft fast eine Woche im Bett, danach muss er leider wegen seines Testergebnisses in der Wohnung bleiben. Auch ich brauche zwischendurch mal Zeit zum Nichtstun, obwohl mir das nicht so richtig gelingt. Irgendwas finde ich immer zum Tun, gerade so kurz vor Ostern.
Nun heißt es abwarten, wie es mit Inna weitergeht und vor allem hoffen, dass der Krieg bald zuende geht; dass dieser Verbrecher und Mörder Putin “besiegt” wird und Inna sich hier ein wenig mehr wohl fühlen kann.
Wer weiß, vielleicht trefft ihr sie einmal hier bei uns.
Alles Gute und ein frohes und gesegnetes Osterfest wünschen von Herzen,
eure SuMi
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