Unser Arbeitseinsatz bei One Happy Family
Nun ging es also nach Lesbos – auch Lesvos genannt – , die drittgrößte Insel Griechenlands. Wie bereits in einem der ersten Blogeinträge erwähnt, waren Jesko und ich bereits schon einmal hier, um bei One Happy Family, abgekürzt OHF, einem Community-Center von swisscrosshelp (https://swisscross.help.de) in der Flüchtlingshilfe zu arbeiten.
Bevor wir uns in Piräus gegen 17:00 Uhr auf die Fähre begaben, hatten wir einen Zwischenstopp in der Stadt Nafplio gemacht und auf dem großen Fährparkplatz den deutschen Rentner Peter kennengelernt. Er kommt seit vielen Jahren trotz seines hohen Alters mit seinem Camper hier hin, um in der Nähe mit den Familien der Sinti und Roma Mittagessen zu kochen und alles mögliche zu organisieren- immer hat er sein Wohnmobil voll mit ausrangierter Kleidung, Spielzeug für die Kinder und anderem aus Deutschland gesammelten Gegenständen – bewundernswert! Seit einiger Zeit trifft er sich hier mit einem anderen Peter, der ihn bei seinen Aufgaben vor Ort gerne unterstützt. Von Peter 1 haben wir säckeweise Verbandsmaterial und Spielzeug übergeben bekommen, die wir nun mit zum OHF nahmen.
Die Fähre buchten wir schon vorher online (=billiger) und die Mitarbeiter lotsten unser TrauMobil allerdings auf der Fähre unter eine bewegliche Rampe – wahrscheinlich um den Platz optimal ausnutzen zu können -; aber etwas mulmig wurde uns schon, als sich diese Rampe während der Beladungszeit mehrmals bedenklich nahe an das Dach unseres TrauMobils bewegte; aber alles ging gut.
Ich hatte zwar die angeblich etwas bequemeren Business-Sitze an Deck gebucht, aber ich unterschätzte doch die lange Fahrzeit von 17 Stunden in der Nacht. Fazit: Bequem und ruhig war die Zeit dann wirklich nicht: Die Fähre hielt an insgesamt acht Haltepunkten an den verschiedenen Inseln auf dem Weg bis nach Lesbos und jedes Mal rasselten die Ankerketten sehr laut, außerdem war das Licht die ganze Nacht taghell angeschaltet und drei Fernseher liefen mit unterschiedlichen Programmen die ganze Nacht über in unserer Sichtweite. Als wir dann morgens gegen 10:00 Uhr auf Lesbos ankamen, waren wir ziemlich gebügelt, Susanne drehte mehrmals ihren Magen um.
Nach dem ausführlichen Durchsuchen nach Drogen mithilfe eines Spür-Hundes, der auf unseren Tisch und Bett sprang und natürlich nichts fand, begaben wir uns schließlich auf den Weg zu unserem „Stellplatz“: Mit dem Wohnmobil auf Lesbos, dasrüber informierten wir uns vorher im Internet, ist eher eine Ausnahmeerscheinung. Und so hatten wir auch viele Schwierigkeiten, für vier Wochen überhaupt einen Stellplatz zu finden. Nach vielen erfolglosen Versuchen gab ich dann einfach im Internet die Worte „Wohnmobil – Lesbos – Flüchtlingshilfe“ ein und – siehe da – ich stieß auf einen Reiseblog von Maren und Ralf, die vor einiger Zeit ebenfalls mit dem Wohnmobil auf Lesbos Flüchtlingshilfe leisteten und die ich dann entsprechend kontaktierte. Maren bestätigte uns, das es eigentlich unmöglich sei, einen gesicherten und erlaubten Stellplatz für vier Wochen auf Lesbos zu finden, nannte mir allerdings ein Hotel, auf dessen Parkplatz wir vielleicht stehen könnten, auch weil die Inhaber selbst in der Flüchtlingshilfe aktiv sind. Aber dieses Hotel war bereits wegen Wintersaison geschlossen.
Maren nannte uns dann noch Sabine und Dirk, ein Ehepaar aus Deutschland, die auf Lesbos seit einigen Jahren eine Reiseagentur betreiben. Durch diesen Kontakt und deren wunderbare Hilfe erhielten wir dann die Möglichkeit, bei den Princess – Studius (Hotel) in der Nähe von Mytilini, der Hauptstadt von Lesbos, zu stehen. Wir fuhren dorthin, jedoch dieses Hotel war ebenfalls bereits geschlossen, kein Mensch in der Nähe zu sehen. Sabine kontaktierte dann erneut den Besitzer und nun klappte es: Gegen einen Pauschalbetrag von 100 € (Ohne Strom, Wasser, WC…) durften wir hier nun vier Wochen stehen.
So dachten wir es, aber es kam anders. Das haben wir auf unserer Reise auch lernen müssen, das man als Camper auf so einer langen Reise sehr flexibel sein muss und sich immer wieder neue unvorhersehbare Situationen ergeben, die ein völliges Umdenken erfordern; interessant und spannend, aber manchmal auch nervig. Wir standen eine Woche auf diesem Parkplatz am Princess – Hotel, als es abends, als wir gerade zu Bett gehen wollten, an unserer Türe klopfte. Der Besitzer des Hotels teilte uns mit, das wir den Platz spätestens am nächsten Morgen verlassen müssten. Es sei nicht erlaubt auf dem Platz zu nächtigen, parken wohl schon, aber nicht “campen”. Als Grund gab er an, die Inselregierung habe das aktuell angeordnet, er könne nichts dafür. Es schien uns nicht so ganz stichhaltig zu sein, insbesondere dass an einem Sonntag die Inselregierung ihn – wie er uns sagte – darauf angesprochen habe. Wir machten unseren Unmut deutlich, insbesondere da es ja sein privater Parkplatz sei, aber hier in Griechenland gelten nun mal andere Gesetze. Später erzählte uns Sabine, dass es auch sein könne, dass der Besitzer vielleicht andere Schwierigkeiten mit der Regierung habe und er seine Beziehung wegen unserer Übernachtung nichts aufs Spiel setzen wollte. Wie auch immer, das Ergebnis war das Gleiche: Wir mussten weg.
So setzten wir uns hin und nahmen erneut mit Sabine Kontakt auf, meldeten uns beim OHF, schilderten unsere aktuellen Schwierigkeiten und baten alle um Hilfe. Am späten Abend meldete sich dann Sabine und berichtete uns, das sie in einer Bucht weiter weg von unserem Platz auf der Insel vor ein paar Tagen zwei Wohnmobile stehen gesehen habe. Sie sandte uns den entsprechenden Standortlink und wir beschlossen noch am selben Abend in völliger Dunkelheit mit unserem kleinen Mietwagen dorthin zu fahren. Es ging über sehr kurvige Straßen zu dem genannten Platz der Insel, etwa 45 Minuten entfernt zur Hauptstadt und eine Stunde entfernt vom OHF.
Dort standen tatsächlich zwei Wohnmobile. Wir sprachen die dortigen Camper an und es stellte sich heraus, dass es zwei holländische Familien waren, die bereits seit zwei Monaten hier campten, nie Schwierigkeiten mit der Polizei gehabt hatten und ebenfalls als Flüchtlingshelfer bei einer anderen NGO (=Nichtregierungsorganisation) tätig waren. Hier landen auch öfter Flüchtlinge mit ihren Booten und wenn das der Fall sei, würden sie – und dann wir natürlich auch – diesen zunächst helfen, um sie danach über eine Notrufnummer zu melden, damit sie in das Flüchtlingscamp gefahren werden. Die Reste von Rettungsreifen und Booten fanden wir beim genauen Betrachten unseres großen Stellplatzes überall in Büschen, wie ebenso ehemalige Bunker…
Hier am neuen Platz nett an einem kleinen Waldrand zum Strand gelegen gab es sogar eine Stranddusche und ein Waschbecken, zwei große Müllcontainer, sowie eine einsame Beleuchtung – und das kostenlos. Wir freuten uns, erleichtert nun dank Sabine eine Lösung gefunden zu haben, fuhren am nächsten Morgen noch früher los als sonst und parkten unser Wohnmobil dort am Strand.
Nach einer Woche fuhren die beiden Holländer weiter und wir standen nunmehr ganz alleine an dem weiten Strand ziemlich direkt oberhalb des Meeres. Wenn wir zu Hause waren, fühlte sich alles sicher und gut an; aber wir hatten doch etwas Sorge, dass während unserer täglichen langen Abwesenheitszeit, während wir bei OHF arbeiteten, eingebrochen würde: Aber zum Glück und Gott- sei- Dank passierte nichts! – Dafür erlebten wir an diesem Platz stets wunderschöne Sonnenauf- und -untergänge.
Zurück zu unserem Ankunftswochenende auf Lesbos: Nach der aufregenden Fährenüberfahrt verbrachten wir das Wochenende viel mit Schlaf nachholen und ausruhen, gespannt, was im OHF auf uns zukäme.
Die Situation auf Lesbos ist zurzeit folgende: Nachdem die Türkei in Syrien einmarschierte, stiegen die Flüchtlingszahlen auf Lesbos wieder kontinuierlich an. In Moria, dem Flüchtlingscamp der Regierung, was ungefähr fünf Kilometer vom OHF entfernt liegt, und welches normalerweise für knapp 3.000 Flüchtlinge gedacht war, leben mittlerweile über 14.000 Menschen unter katastrophalen Zuständen. Es gibt einige wenige Container zum Wohnen, aber die meisten Menschen leben in UNHCR – Zelten (UNHCR: UN Refugee Agency) bzw. in kleinen gespendeten Igluzelten oder sie schlafen auf der blanken Erde. Es gibt nur wenige Duschen und Toiletten, alles eigentlich eine unhaltbare und eine für Europa absolut unwürdige und beschämende Situation. Die Flüchtlinge warten hier teilweise bis zu drei Jahre (!) auf einen Termin bei der Behörde, um überhaupt erst einmal ihren Antrag auf Asyl stellen zu können, der sie dann irgendwann nach Genehmigung berechtigen würde, auf das Festland zu kommen.
An einem Montag begannen wir dann unsere viereinhalbwöchige Arbeit im OHF. Ich kannte im Gegensatz zu Susanne – für die es in der ersten Woche sehr schwer war – schon viele Abläufe, aber es hat sich in den letzten Jahren doch sehr viel geändert, und so musste auch ich wieder viel Neues dazu lernen: Die ganze Arbeit ist sehr viel organisierter und es gibt viele Hilfestellungen und Ansprechpartner für die zurzeit etwa vierzig Volontäre. Die meisten Volontäre kamen aus der Schweiz, aber auch aus Deutschland, Großbritannien, Australien und Frankreich. Die “Arbeitssprache” (Verständigung) ist für alle englisch. Das Besondere an dieser NGO ist, dass es immer paritätisch besetzte Teams von Volontären und „Helfern“ gibt – Helfer, die auch selbst Flüchtlinge sind. Dadurch arbeiten zum Einen alle gemeinsam an den Aufgaben und die unterschiedlichen Fähigkeiten der Volontäre und der Helfer werden am besten umgesetzt; zum anderen arbeiten Volontäre und Helfer auf Augenhöhe! So sieht das Gelände und einzelne Stationen in OHF aus:
Anhand der nachfolgenden Fotos könnt ihr ersehen, dass es jeden Morgen eine Besprechung gab und sich alle Volontäre für die verschiedenen Aufgaben meldeten – und es gab immer viel zu tun. Wenn außergewöhnlich viele Flüchtlinge, die wir hier “Besucher” nennen, zu uns kamen – zum Beispiel am sogenannten „Chickenday“ (dem einzigen Tag in der Woche, an dem es Fleisch gab), besuchten uns immer besonders viele, manchmal bis zu 1.400 Menschen – mussten wir im Laufe des Tages auch Aufgaben wechseln oder zusätzlich übernehmen. Die Abstimmung untereinander lief über „Whatsapp“, so erhielten wir täglich meistens zwischen 20 und 30 Nachrichten auf unseren Handys.
Die Arbeiten an sich waren nicht so sehr körperlich anstrengend (Geschirr für 1.400 Menschen spülen, Bedienung im Café, Kinderbetreuung im sogenannten „Nest“, Reinigungsarbeiten, Registrierung der Flüchtlinge und vieles mehr). Aber die Eindrücke der vielen Menschen auf dem relativ kleinen Areal und deren bewegende Geschichten und Schicksale, haben uns bereits nach der ersten Woche so sehr bewegt und berührt, dass wir oft am jeweiligen Abend, aber auch an den arbeitsfreien Wochenenden, ziemlich müde und fertig waren.
Am ersten Wochenende wollten wir uns daher etwas Gutes gönnen und besuchten die heiße Therme in der Nähe der Hauptstadt. Diese war zum einen Teil schon etwas in die Jahre gekommen mit abblätternder Farbe, Steingriesel auf dem Boden der Becken – zum anderen Teil aber eher luxuriös eingerichtet und wir fühlten uns sichtlich unwohl, neben sehr gestylten Menschen mit deren Coktailgläsern im warmen Außenpool (!), während wir wussten, dass keine drei Kilometer entfernt viele Menschen auf dem Boden draußen schlafen mussten. Daher wurde der Besuch dieser Therme während unserer Zeit auf Lesbos nur eine einmalige Sache.
Susanne blühte nach der Eingewöhnung im „Nest“ bei den Kindern merklich auf und konnte ihre gesamte Erzieherin – Erfahrung einbringen. Als Vorbereitung dazu musste sie auch noch zusätzlich zur Volontär – Einführung am ersten Tag eine Online-Schulung zum Thema „Traumatisierte Kinder“ absolvieren.
Mein Favorit bei den verschiedenen Aufgaben war die Arbeit bei der sogenannten „Bank“.
Der Grundgedanke von OHF – bereits von Anfang an – ist ja immer nach dem Grundsatz „Mit den Menschen – statt für sie“.
Im Fall der Bank ist die Idee, dass jeder Besucher der zum OHF kommt eine sogenannte Lokalwährung erhält, die „Drachma“. Diese stellt sicher, dass die Menschen fair und zu gleichen Teilen von den Projektangeboten profitieren können; zudem entsteht durch das „Bezahlen statt Betteln“ ein Gefühl der Normalität. Jeder Besucher erhält eine gewisse Anzahl von Drachmen pro Tag von der Bank und kann dann aussuchen, welche Angebote er damit beziehen möchte (Getränke kaufen, Kopien anfertigen lassen, im Shop subventionierte Körperpflegemittel oder Spielzeug einkaufen, Internetnutzung am Laptop bezahlen, Friseur bezahlen etc.). Das hilft, den individuellen Bedürfnissen der Besucher gerecht zu werden.
Wenn ihr Euch ein umfassenderes Bild von OHF und deren Arbeit machen wollt, erfahrt ihr über diesen Link mehr:
Wie schon erwähnt, brauchten wir die Wochenenden immer für unsere körperliche und geistige Erholung – lesen, faulenzen, mit Brett-Spielen die Zeit vertreiben etc.-, aber auch die täglichen Aufgaben der Woche mussten nachgeholt werden, wie Wäsche waschen, einkaufen, „Hausputz“. An einem Sonntag bekamen wir sogar Besuch von zwei Volontärinnen aus der Schweiz.
Am jeweils letzten Tag eines Volontärs darf diese/r sich wünschen, welche Aufgaben sie/er erledigen möchte. Für Susanne war es selbstverständlich ein “Kindertag” im Nest, während ich nach einigem Hin- und Her überlegen mich entschloss für eine Weile in meine Clownrolle zu schlüpfen. Es war ein Regentag und nicht viele Besucher würden kommen. Aber mit Susannes Schminkhilfe und der roten Nase verwandelte ich mich und überraschte und erfreute damit nicht nur die Kinder, sondern sehr viele Männer. Viele wollten sich gerne mit mir fotografieren lassen und alle hatten wirklich sehr viel Spaß mit dieser Überraschung.
Insgesamt war es eine sehr erfüllte, aber auch sehr anstrengende Zeit für uns auf Lesbos.
Wir haben dort wunderbare Menschen kennengelernt (Besucher, Helfer, Volontäre). Beim Abschied gingen wir daher mit einem lachenden und einem weinenden Auge.
Noch an der Fähre, kurz vor unserem Start wurde ich Zeuge einer für mich sehr traurigen Situation:
Wir standen bereits mit unserem Wohnmobil auf einer Stelle, die uns vom Personal zugewiesen wurde, mussten diese dann jedoch wechseln. Weil bereits ein LKW hinter uns stand, ging ich dorthin, um den Fahrer zu bitten, etwas rückwarts zu fahren.
Dort muste ich dann mit ansehen, wie der Fahrer mit einem armdicken Holzpflock mit aller Kraft auf seinen geschlossenen Anhänger einschlug, um die von ihm kurz zuvor entdeckten “blinden Passagiere”, zwei Flüchtlinge, dazu zu bringen, herunter zu springen. Als diese sich weigerten, begann er mit dem Holzpflock auf deren Füsse einzuschlagen. Ich ging dann ganz nahe heran und forderte den Fahrer dazu auf – er sparach allerdings kein englisch – , das zu unterlassen und winkte den Flüchtlingen, um sie dazu zu bewegen, den Lastwagenanhänger zu verlassen, was diese dann auch kurz darauf machten. Ich glaube im Nachhinein, das meine Anwesenheit den Fahrer zumindest dazu brachte, aufzuhören.
Die Flüchtlinge flohen dann zu Fuß in Richtung Hafeneingang. Da wir noch weiter warten mussten, ging ich zum Hafeneingang zurück und suchte die beiden jungen Männer. Sie berichteten mir, dass sie aus Afghanistan seien und versuchen wollten, mit dem Lastwagen auf das Festland zu gelangen. Ich gab ihnen dann die Adresse von One Happy Family und erklärte ihnen, das sie dort weitere Hilfe bekämen und gab ihnen auch unaufgefordert etwas Geld in die Hand. Dieses wollten sie zunächst nicht annehmen, ich aber bestand darauf. Sie bedankten sich mehrfach und ich ging zu unserem Wohnmobil zurück …betroffen, traurig, wütend, beschämt …
Im Bauch der großen Fähre in Richtung Kavala geht es nun zurück auf das griechische Festland. Hier stellen wir nun während unserer Überfahrt den Blog fertig.
Ein letzter Satz: Wir nehmen vieles von Lesbos in Gedanken und im Herzen mit und es wird nicht ohne Nachwirkung auf uns, unsere Gefühle und Meinungen bleiben.
Bis bald, euch allen eine schöne und friedliche Adventszeit
Eure SuMi im TrauMobil
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